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1902: Autofahrt über den Gotthard mit Hindernissen und Spesen,
damals aber garantiert ohne Stau

Otto Julius Bierbaum / Eine empfindsame Reise im Automobil / Von Berlin nach Sorrent und zurück an den Rhein / Kapitel XVIII. / Von Mailand bis Stein am Rhein

An Herrn Dr. August Smith in Wangen am Bodensee

Bellinzona, den 13. Juli 1902, im Hirschen.

Gerettet, lieber Doktor! Wir sind dem feurigen Ofen entronnen; den Bergen nahe erfreuen wir uns kühler Winde und segnen die frische Schweiz. Italien ist ein anbetungswürdiges Land; man soll es das ganze Jahr lang anbeten, aber mit Ausnahme der Hundstage. Meine Frau will das zwar nicht zugeben, aber in diesem Falle muss ich sie als befangen ablehnen, und, wenn sie auch plötzlich recht traurig wurde, wie wir die Grenze ihres Landes hinter uns liessen, im Grunde, glaube ich, ist selbst sie nicht traurig darüber, dass die Temperatur beginnt, erträglich zu werden, und auch sie hat das frischere Grün der Schweizer Fluren gerne gesehen. Ich für mein Teil hätte vor Vergnügen schreien mögen.

Übrigens entliess uns Italien nicht so schnell. Es dauerte beträchtlich lange, bis wir unsre zu Zolldepot gegebenen 110 Franken zurückbekamen. Schneller wurden wir sie wieder los, denn auch die schweizerische Eidgenossenschaft legt Wert darauf, ein solches Depot zu erhalten. Morgen über den Gotthard! Dort liegt noch Schnee! Welch herrliche Aussicht!

Kurz vor dem Sankt Gotthard-Hospiz

Der Gotthard war uns als der einzige schweizer Gebirgspass bezeichnet worden, dessen Überschreitung mit Motorwagen gestattet sei, und in Bellinzona bestätigte man uns dies mit dem Hinzufügen, diese Erlaubnis sei allerjüngsten Datums, übrigens aber nicht viel wert, weil es sich von selber verbiete. Wenigstens sei ein Herr, der es kürzlich versucht habe, unverrichteter Dinge zurückgekehrt.

Durch solche Erzählungen muss man sich nicht irre machen lassen. Immerhin waren wir, als wir abfuhren, nicht gerade felsenfest überzeugt, dass wir über die 2111 Meter hinüber gelangen würden, und wir dachten schon daran, ob wir nicht wenigstens das schwere Gepäck mit der Bahn befördern lassen sollten. Aber die Zuversicht siegte, und der Adlerwagen hat sie nicht zuschanden werden lassen. Wir sind um 10 in Bellinzona abgefahren und um 7 in Brunnen angekommen, ohne dass uns der alte Sankt Gotthard auch nur ein einziges Mal Veranlassung gegeben hätte, kleinmütig zu werden; wir haben ihn "glatt genommen". Allerdings nach der Melodie "Immer langsam voran", sonst hätte wir zu 136,4 Kilometer nicht neun Stunden gebraucht. (...)

Erst heute haben wir Italien eigentlich verlassen, denn das Land südlich des Gotthards ist italienische Erde, wenn seine italienischen Bewohner auch schweizerische Eidgenossen sind. Doch hat die Zugehörigkeit zur Schweiz in der Tat den Typus etwas verändert. Sie sind schwerfälliger, als ihre Brüder jenseits der rot-weiss-grünen Grenzpfähle. Auch fielen mir die vielen blauen Augen auf, und aus dem Ausdruck dieser Augen, wenn sie unsern Wagen sahen, bildete sich mir das Wort kuhäugiges Erstaunen. Auch war uns auffällig, wie ganz anders sich diese schweizerischen Menschen, die Italiener sowohl wie die Deutschen, unserm Wagen gegenüber verhielten, als alle übrigen Menschen bisher. Wo wir sonst hielten, um Wasser nachzufüllen oder aus sonst einem mit dem Wagen zusammenhängenden Grunde, kamen die Leute von allen Seiten herbei und trachteten, den Motor so nahe und so genau wie möglich anzusehen, wobei sie es nicht unterliessen, Fragen an Meister Riegel zu richten, mehr oder weniger lebhaft, ja nach dem Temperament. Hier, in der Schweiz, nichts von alledem, obwohl gerade in dieser Gegend Laufwagen noch so gut wie unbekannt sind. Vielleicht, dass sich ein paar ganz junge Leute in fünf, sechs Schritt Entfernung aufstellen und das Ding mit äusserster Befremdung betrachten; das ist aber auch alles. Die anderen gehen mit einem Ausdruck vorüber, als wollten sie sagen: Gottlob, dass wir Engel des Tell davon entfernt sind, derlei Unfug mitzumachen. Und, fährt man auch noch so langsam durch ein Dorf, stets finden sich einige, die mit Amtsmiene gebieten: Langsam fahren! Es scheint, als ob jeder einzelne sich des Umstandes bewusst wäre, dass es von seiner Stimmabgabe mit abhängt, ob künftig solche Maschinen auf diesem, ihrem Grund und Boden verkehren dürfen. Einen besonderen liebenswürdigen Eindruck macht dies nicht, und es verrät auch nicht übermässig viel Intelligenz.

Wir sollten es aber auch noch ganz direkt erfahren, von welcher Art die Freiheit sein kann, wenn Bauern von ihr schrankenlos Gebrauch machen dürfen.

Vorher ein paar Bemerkungen über die Gotthardstrasse. Den Eindruck alter grosser Kultur, wie er von der Brennerstrasse ausgeht, macht sie nicht. Sie hat ja auch längst nicht deren Alter. Sie ist viel wilder, rauher, und sie erhält in ihren oberen Partien auf dem südlichen Teil noch etwas Drohendes durch die Forts, mit denen die Schweiz den Berg gegen Italien befestigt hat. Diese Forts sind nicht etwa malerische Festungsbauten im alten Sinne, sondern höchst typische Erzeugnisse jener modernsten Festungsbaukunst, die mit lauter Faktoren zu rechnen hat, die es ihr geradezu verbieten, malerisch zu sein. Alles ist darauf angelegt, möglichst wenig bemerkt zu werden. Nur dass hie und da eine breite, flache, überaus mächtige Kuppel sichtbar wird, oder in kolossaler Höhe eine mit dem Felsen verschmolzene Bastion.

Einen wunderlich idyllischen Gegensatz zu diesen ins Gebirge eingelassenen Verteidigungswerken bildete ein schweizer Gotthardsoldat, der, im vollen Waffenschmuck des Kriegers, Helm auf, Säbel um, dasass und die Umgebung mit Wasserfarben abmalte. Ein andrer aber, der, wie es schien, dazu befohlen war, verfolgte uns wohl eine halbe Stunde lang, bald vor, bald hinter uns auftauchend, indem er Abkürzungswege benutzte.

Im übrigen begegneten wir oben keiner menschlichen Seele, hatten dafür aber Gelegenheit, eine ganze Rindviehprozession über ein Schneefeld zu beobachten. Schnee und Eis gab es überhaupt genug, aber in der Hauptsache nur über den Wasserläufen, nicht mehr auf der Strasse selbst. An dem berühmten Hospiz fuhren wir ohne Einkehr vorüber, froh, dass es nun im beschleunigten Tempo bergab gehen durfte. Die Bremsen bekamen jetzt scharfe Arbeit, denn das Gefälle nach Norden ist sehr streng. Wir begegneten auf dieser Seite vielen Touristen, während wir auf der Südseite keinen einzigen Rucksack erblickt hatten. Bald erschienen auch Wagen (hinter Andermatt sogar sehr viele), und, was schlimmer war, solche mit schweizer Kutschern, die es für wichtiger halten, ausgiebig und laut zu schimpfen, statt sich um ihre Pferde zu kümmern. Zum Glück verstanden wir den Sinn ihrer wütenden Expektorationen nicht, da sie urnerdeutsch fluchten, also in einem Dialekt, der dem ans Hochdeutsche gewöhnten Ohre mehr wie eine unbegreifliche Anhäufung von Rachenlauten, denn als eine Abart deutscher Sprache erscheint. Wir beantworteten diese Konglomerate aus Ch-Lauten aufs freundlichste mit dem Grusse: Leben Sie wohl, mein Herr! und gaben uns im übrigen dem Anblick der hier wahrhaft grandiosen Natur hin.

So gelangten wir glücklich, ohne irgend ein Pferd des Kantons Uri in ernstliche Verlegenheit gesetzt zu haben, über die Teufelsbrücke und schliesslich nach Göschenen. Hier aber ereilte uns unser Geschick. Es hatte die Gestalt eines überlebensgrossen Polizisten, der sich wie ein Turm breitbeinig vor uns aufpflanzte, indem er abwechselnd äusserst laut und mächtig rief: Anhalte! Usschtiege! Nun bin ich zwar ein Mensch voller Respekt vor der Polizei, zumal, wenn sie in überlebensgrossen Exemplaren auftritt, aber ich lege einigen Wert auf höfliche Behandlung. Und so sagte ich meinesteils: Sehr schön! Aber, bitte, schreien Sie nicht so und erklären Sie mir ruhig und sachlich den Grund Ihrer Aufregung. Anhalte! Usschtiege! brüllte der Turm. Wenn Sie so freundlich sein wollen und ruhig die Sachlage betrachten, erwiderte ich mit himmlischer Gelassenheit, so werden Sie unschwer bemerken, dass wir bereits halten, und ich kann Ihnen versichern, dass wir auch aussteigen werden, wenn Sie nur eine Andeutung darüber machen wollten, warum wir hier aussteigen sollen, wo wir keineswegs die Absicht haben, Station zu machen.

Diese längere und wohlgesetzte Rede besänftigte den Riesen von Uri, und er versicherte uns nun, unter deutlichem Ringen nach Höflichkeit, wir hätten nichts von ihm zu befürchten und möchten ihm auf die benachbarte Polizeiwache folgen, wo sich alles schnell schlichten werde. Meine Frau sah sich schon in Kerkersbanden, Riegel meinte, das Gescheiteste wäre, den Turm umzufahren, ich aber war gerührt von dem Streben des Enaksohnes nach Urbanität und folgte ihm mutigen Schrittes in die Heimstätte der urner Sicherheitsbehörde (wie meine Frau behauptet, hat es ausgesehen, als würde ein Klippschüler von seinem Lehrer in die Schule geschleppt).

Was mir dort eröffnet wurde war dies: Die Polizei von Andermatt hat hierher telegraphiert: "Automobil hier durchgefahren; unmöglich es aufzuhalten" (Aha, dachte ich mir, die Andermatter haben keinen Riesen!) "Stellt es und verfügt nach dem Gesetze. Wieso? fragte ich; ist es nicht erlaubt, über den Gotthard zu fahren? Doch, antwortete der Gewaltige, das ist erlaubt, und es ist auch erlaubt, im Kanton Uri zu fahren. Na also! Ja, aber es ist nicht erlaubt, von Andermatt nach Göschenen zu fahren.

Jetzt fängt der Riese an, Witze zu machen, dachte ich mir, denn das sah doch nicht anders, als wie ein Witz aus: Man darf zwar über den Gotthard fahren, muss aber in Andermatt wieder umkehren. Und ich entwickelte diesen Gedankengang ebenso logisch wie bescheiden. Aber weder meine Logik noch meine Bescheidenheit rührte den Mann des bewaffneten Gesetzes. Er sprach, und der Sinn seiner Rede war dies: Das mögen Sie mit dem Kanton Tessin ausmachen, der es erlaubt hat, über den Gotthard zu fahren. Wir in Uri erlauben eben bloss, von Göschenen weiter zu fahren. Demnach hätte ich, fuhr ich unter andauernder Logik und Bescheidenheit fort, von Andermatt aus, da ja dort keine Eisenbahn ist, ein Ochsengespann mieten und meinen Wagen bis hierher durch die Tiere befördern lassen müssen, deren Kopf das Wappen dieses Freistaates ist? Das hätten Sie allerdings müssen, antwortete der Turm, der mich selbst sitzend weit überragte, wenn Sie den Gesetzen hätten gehorsam sein wollen. Da Sie es aber nicht getan haben, müssen Sie nach dem Gesetze bestraft werden.

Wieviel kostet es? fragte ich mit schnellem Verständnis. Zwanzig Fränkli, antwortete prompt der Übermensch. Wie, rief ich, und wegen 20 Fränkli muss ich aussteigen? Das hätten wir doch auch draussen machen können? Nein, erwiderte der Riese, ich muss Ihnen eine Quittung ausstellen. Und tats. Ich empfing meine Quittung, überreichte ihm, zur Einverleibung in das Archiv von Uri, meine Visitenkarte, nahm Stellung, machte kehrt und begab mich in den Wagen, um, so lange wir auf urner Boden fuhren, Meister Riegel beharrlich zur Langsamkeit zu mahnen, denn diesen Rat hatte mir das riesige Organ der Sicherheit von Uri noch mit auf den Weg gegeben: Schritt fahren, oder in jedem Falle sechs Franken Busse.

Ein paar Gedanken machte ich mir aber doch. Es ist begreiflich, sagte ich mir, dass das souveräne Volk von Uri, das zum grössten Teile aus Pferdehaltern besteht, den Automobilen nicht grün ist; es ist ferner begreiflich, dass diese Pferdehalter den Wunsch hegen, man möge, wenn man schon keinen Wagen nimmt, dafür wenigstens an seinem Beutel bestraft werden; warum aber dann nicht gleich eine Tafel aufstellen mit der Aufschrift: Das Fahren im Automobil von Andermatt bis Göschenen kostet 20 Franken, zahlbar an den Riesen X? Wenn man nun Eile hätte? Nicht jeder ist so verschwenderisch mit der Zeit wie ich. Aber freilich: Eile darf man hier im Automobil überhaupt nicht betätigen. Die Urner haben es sich vorgenommen, den Automobilisten den Schnelligkeitskitzel auszutreiben. Herr de Knyff, der schon ein Tempo von achtzig Kilometern in der Stunde ein "Schrittfahren" nennt, "bei dem man nervös wird", sollte um Gotteswillen den Kanton Uri meiden; er würde hier der Verzweiflung anheimfallen.

Wir sind übrigens ganz gerne, und auch ausserhalb Uris, langsam gefahren, denn es wäre Sünde, sich hier zu beeilen. Die ganze Strecke ist eine grosse Herrlichkeit, das schönste an ihr aber die Fahrt auf der Axenstrasse. Doch es hiesse, Touristen nach der Schweiz bringen, wollte ich das noch ausführlich behandeln.

Wunderlich berührt den, der den sagenhaften Charakter der Tell-Geschichte kennt, der Umstand, wie diese Figur hier allenthalben historisch genommen wird. Vielleicht an keinem Beispiel wird so klar, wie an diesem, welche gewaltige Bedeutung der Phantasie oder, wenn man will, der Kunst, schön zu lügen, auch für das Völkerleben innewohnt. Die Schweiz ohne Tell, es ist kaum zu denken, und dennoch ist dieser Nationalheld nichts als ein Gebilde der Lust am Fabulieren, wie sie in jedem Volke steckt wie in jedem aufgeweckten Kinde. Aber wehe, wer das einem Schweizer aus dem Durchschnitte sagen wollte! Ich für meinen Teil würde es jedenfalls nicht gegenüber dem Goliat von Uri riskieren. (...)

Leben Sie wohl!


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