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Ein Bericht aus der Schweiz

Am 20. August früh 8 Uhr, nach frostiger, nebelgrauer Fahrt über den Vierwaldstättersee See, stiegen wir in Flüelen ans Land und marschierten dem Gotthard entgegen.

In dem nach einer halben Stunde erreichten Altdorf drängt sich bei jedem Schritt und Tritt die Tellensage dem Ungläubigen entgegen. Da ist ein Brunnen mit Tells Standbild, angeblich an Stelle der alten Linde, an welcher des Tellen Sohn den Schuss bestand. Dort am Kirchturm ist in plumpen Fresken neben der Schlacht von Morgarten noch die Tellengeschichte gemalt. Noch ein ander Denkmal steht da, ein Rest von jenem Bauernhochmut, den die östreichischen und burgundischen Spottliedersänger ihrer Zeit so scharf an den biedern Eidgenossen geisselten; neben dem Tellenbrunnen steht eine alte, gewaltig dreinschauende, plumpe Statue im Ritterornate, der Dorfvogt Besler, der sich auf seine eigenen Kosten dem Tell zu Seite stellen liess.

Warum soll nicht auch der Dorfvogt Besler auf die Nachwelt übergehen, seine Mittel erlauben es ja!

Im übrigen sieht man eine Reihe schmucker alter Herrenhäuser in Altdorf. In jedem sitzt ein Z'graggen und eine Z'graggin; wenigstens darf man's mit Grund vermuten.

Was bei uns der celebre Namen Maier oder Müller, das ist unter den Urner Patriziern der Z'graggen; und wer nicht Z'graggen heisst, der heisst Z'berg.

Über Altdorf ist der Bannwald, eine lebende Schirmmauer gegen Steinfall und Lawine, in welchem bei Todesstrafe kein Baum gefällt werden durfte. Dass die Todesstrafe im Lande Uri noch blüht, daran mahnt der pompöse steinerne Galgen in der Feldgemarkung von Altdorf, nicht weit von Bürglen.

Dort mündet auch das Schächental, durch welches der alte Suwarow im Jahr 1799 seine Russen auf fabelhaften Gebirgspässen ins Graubündten hinüberfädelte. Ob nicht naturwissenschaftliches Interesse für Gletscher und wilde Gebirgsgruppen diesen strategischen Operationen zu Grunde lag? Freilich war ihm nach der Schlacht von Zürich jeder andere Ausgang mit Brettern vernagelt, und Suwarow hat gezeigt, dass, wenn einer nur ernstlich will, er mit dem Kopf nicht nur durch die Wand, sondern selbst durch die Alpen rennen kann. Wenn wir in Deutschland auch einmal in ähnliche Enge getrieben sind wie die Russen im Schächen- und Muottatal, dann lernen wir vielleicht das Bergsteigen, aber ein fester Wille gehört dazu.

Die Strasse führt, langsam steigend, durch das noch ziemlich breite und Vegetation entwickelnde Reusstal. Rechts und links steigen hohe, fortlaufende Felswände, an die Martinswand bei Innsbruck erinnernd, auf. was da an der Strasse herumlungert, erinnert nicht an die Sieger von Morgarten. Krüppliges Kretinengeschlecht, aufs Betteln dressiert, das hier in mannigfachen Formen betrieben wird. Da schiesst ein junger Tellen-Enkel mit der Armbrust und ein andrer schwingt ein Fähnlein und fordert seinen Batzen, dort schleppt einer Bergkrystalle bei u. s. w. "Am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles."

Gegen Klus und Ansteg hin wird's schon wilder. Die hohe Windgälle und andere konsiderable Honoratioren der "haute volée" recken ihre Häupter empor; auf melancholischer Felswand, grün umwachsen, schauen hinter Silenen ein paar alte Mauertrümmer in die Reuss herunter, die Reste von Gesslers Sitz Zwing-Uri. (...)

Nach dieser stark an eigenen Katzenjammer gemahnenden Episode traten wir vom Zwing-Uri weg in das stattliche Wirtshaus in Amsteg ein. Dass die Melancholie der Gegend noch jetzt Barokkes erzeugt, wurde uns noch am Fuss des Zwing-Uri klar: Ein Wagen mit 4 Engländern kam gefahren; was taten sie, angesichts der Gebirgswelt, angesichts der tobenden Reuss, angesichts dieser historischen Trümmer! Sie spielten Whist im Wagen.

In Amsteg lachte uns, wie der erste Gruss aus Welschland, ein braungelber, süssherber piemonteser Landwein entgegen, von dem wir mit Gesslerischer Wehmut und zum Schreck von 4 feinen, allein reisenden Bremer Damen mehrere Flaschen vertilgten. Dann ging's, am Ausgang des wilden Maderanertals vorüber, von dem der tobende Kerstelenbach in die Reuss strömt, vorwärts. Eine schmucke, zweibogige Brücke führt über die Reuss, und dann geht die Strasse, in prachtvollen Windungen längs der Reuss, oder vielmehr hoch über ihr, scharf bergan. Die Mannigfaltigkeit der einzelnen Partien ist überraschend, Stoff für monatelange landschaftliche Studien. An eine im Tannendunkel verborgene Gebirgsmühle, über der ein Wasserfall den Rädern die Triebkraft zuführt, mit sprühendem Wasserschaum umflort, und dabei ein Blick in die Tiefe der Reuss und in die Höhe, wo kahle Felsgipfel in blauen Himmel ragen, erinnere ich mich lebhaft als an eines der prächtigsten landschaftlichen Bilder.

Mehrmals geht die Strasse auf kühn gesprengten Brücken wieder über die Reuss, die in fortlaufender Kette kleiner Wasserfälle bergab rennt. Vor dem Dorf Wasen arbeitet sich die Reuss durch eine mächtige Felskluft mühsam durch; oben auf der Strassenbrücke stehen Bettler in Masse und werfen Felsstücke in die Schlucht hinunter. Die Wildheit der Szene nötigt abermals zu einem herzstärkenden Trunk piemonteser Landweines.

Hinter Wasen und Wattingen verschwinden allmählich auch die letzten einsamen Tannen und Sträucher, und in dem Engpass der Schöllinen hört so zu sagen alles auf. Hier war der Natur alles Beiwerk überflüssig, hier hat sie nur in Stein gearbeitet, aber in Formen und Dimensionen, die etwas herzzerpressend auf den homo sapiens Linnäi einwirken, der durchmarschiert. Riesenhafte Felsblöcke liegen in wilder Unordnung herabgestürzt im Tal, andere schauen halb abgelöst von den Höhen der Felswände herunter, unten kracht und tobt die Reuss.

Auch hier ist eine Episode nötig, um naturgeschichtliche Vorurteile zu beseitigen. Warum liegt so mancher Block, der hoch oben als Kuppe gethront, lebensmüde und gebrochen im Tal? Ist's bloss das Schneewasser, das, in seinen Ritzen wühlend, ihn herabgestürzt hat, oder ist's der Föhn?

Über das Seelenleben der Pflanzen hat ein Tübinger Doktor ein grosses Buch geschrieben; aber an das Seelenleben der Felsen hat noch keiner gedacht. Ich bin überzeugt, dass dieselben Ursachen, die den germanischen Menschen in dieser Teufelsnatur zu Gesslerischen Taten trieben, auch den Fels in die Tiefe stürzten. Die Melancholie wirkt gar gewaltig. Man denke sich so einen Felsriesen oben auf seiner nebelumwölkten Höhe, nichts als gleiches Gestein um sich; in Fels hat zwar ein etwas schwer zugängliches Gemüt, nicht jeder momentane Eindruck regt ihn auf, aber wenn einer einen jahrtausendelangen Schmerz auszubrüten hat wie ein solcher Fels, oder an einer jahrtausendelangen Liebe zehrt, etwa nach dem Haidekraut, das unten in dem Schaum der Reuss noch seine roten Glöcklein lockend aufspriessen lässt, oder nach dem unstät fortbrausenden Wasser, das täglich höhnend an ihm vorüber eilt, dann muss es endlich auch bei einem alten, harten Felsengemüt zum Durchbruch kommen.

Er seufzt schweigend, löst sich los von seinen Banden und stürzt sich, ein Opfer der Melancholie, talabwärts, und hat er etwa das Haidekraut erdrückt, oder sprudelt das Reusswasser nach wie vor höhnisch an ihm vorüber, so bricht das alte Herz und stirbt.

Beim Eingang ins Schöllinental lag ein ungeheurer Felsmelancholiker herabgestürzt, der turmhohe Teufelsstein.

Wir hielten in stiller Rührung und tranken ihm aus der Feldflasche einen teilnahmsvollen Schnaps zu.

Aber die Felswand schien's nicht gut aufzunehmen, dass wir die Herzensgeheimnisse ihres Kollegen aufgedeckt. Immer drohender und enger wurde der Pass, lauter krachte die Reuss, und ein feiner Nebel kam hinter uns drein, so dass die Ungewissheit der im Nebel verschwimmenden Formen das Gewaltige des Eindruckes bis zu einem Grade erhöhte, der an Unbehaglichkeit grenzte. So mitten auf früheren Schlachtfeldern elementarischer Kräfte fühlt der Kulturmensch, dass er eigentlich nicht mehr hieher passt.

Den Schluss des Schauerlichen bildete die Teufelsbrücke. Senkrechte Felswände, deren Umrisse sich im Nebel verloren, auf beiden Seiten; dazwischen die neue Brücke und unter dieser die alte, einst von den Österreichern 1799 nach blutigem Gefecht gesprengt, alles in schweigsamem Nebel, durch welchen silberhell der Schaum des Reussfalls, der mehr als 100 Fuss in die Tiefe hinab tobt, vorglänzt: der Wanderer schwieg, und selbst der Schnaps aus der Feldflasche, mit welchem wir sonst grosse Szenen zu begrüssen pflegten, schien profan. (...)

Durch den stattlichen Felstunnel des Urner Lochs schritten wir noch, dann wurd's wieder breit und weich vor dem Blick; wir waren im Urserental, einem reichen Weideland, freilich schon 4000 Fuss hoch. Im Hospital fanden wir Unterkommen für die Nacht, ein komfortables Souper nach unserem Gebirgsmarsch, und neben viel unerträglichem Engländervolk auch die vier bremischen Damen, mit deren einer ich mich in norddeutschem Salonstil über Schiller und Goethe, sowie über Jean Pauls Titan und den ewigen Frühling der borromäischen Inseln zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit, meinerseits aber mit etwas ironisch verzogenen Mundwinkeln unterhielt.

Am andern Morgen war das Urserental in gelinden Regen eingehüllt, so dass uns weder der alte Longobardenturm, der über dem Hospital aus einigen Felsblöcken vorragt, noch die moderne Kellnerin, die im Pariser Hut das Frühstück servierte, in gute Wanderstimmung versetzen konnten. Wir zogen zuletzt doch ab, entschlossen, wie einst Suwarow den Gotthardübergang zu forcieren.

Die neue Strasse windet sich in mannigfachen Biegungen in die Höhe, das Gebirg selbst wird öd und kahl, die Vegetation hört auf; da und dort Trümmer von Steinlawinen und Felsstürzen von den Bergwänden; schön ist die Landschaft keineswegs, auch nicht grossartig im Stil der Teufelsbrücke. Vor uns lagerten dichte Nebelwolken auf den Kuppen der Berge, rückwärts war blauer Himmel, und die Gipfel des Urirotstockes und anderer Häupter prangten in hellem Sonnenblick. Ein Stück weit zogen wir den mit Gras überwachsenen Spuren der frühem Strasse nach, längs der Reuss hin, die im See oben beim Hospiz entspringt; Menschen waren keine mehr in dieser Region zu ersehen; zwei grosse, schnuppernde Bernhardinerhunde kamen uns entgegen und gaben ein Stück weit das Geleite. Aus der Höhe des Berges pfiff ein scharfer Wind, und bald fiel ein penetranter Nebel nieder, der bis auf die Haut durchnässte.

Auf der Fläche des Berges, oder eigentlich der Gebirgskette, denn der Gotthard ist kein einzelner Berg, liegt das Hospiz bei zwei kleinen Seen, deren einer die Reuss nach dem Vierwaldstätter See, der andere den Tessin südwärts ausgiesst.

Massen von altem, hartgewordenem Schnee lagen auf der Strasse; endlich befanden wir uns wieder vor menschlichen Wohnungen, das Hospiz war erreicht. (...)


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